29 Dezember 2011

Urlaub in Franken

Lesen reflektiert die Außenwelt im Innern. Schreiben spiegelt die Innenwelt dem Außen.

Der "Weiße Wal" ist unser rollendes Heim. In unserem Wohnmobil schwankt leicht der Boden, wenn wir uns darin bewegen. Der Hersteller Seitz hat in sechs Metern Länge, zwei Metern Breite und drei Metern Höhe bescheiden doch beschaulich alles eingebaut: Den Eingangsbereich, Küche mit Tisch, alternativ Schreibtisch, Naßzelle mit Toilette und Waschbecken, Kühlschrank und Bett. Diese Wohnung gleicht einer Puppenstube unter einem Zeltdach. Schon wenige leichte Regentropfen klingen melodisch auf der Fahrzeug-Decke, welche uns mit etwa drei Millimetern Glasfaser verstärktem Kunststoff und drei Zentimetern Isolierschaum von der unwirtlichen Winterwelt trennt.

Urlaub in Franken ist nun die Sorte Stress, welche wir uns freiwillig suchen. Neben den Treffen mit den Freunden und Verwandten meiner Frau holen wir für den Weihnachtsmarkt 2012 schon neue Schlitten-Schiebelehnen bei einem fränkischen Schlitten-Hersteller. In den letzten warmen Wintern konnte er kaum seine Produktion verkaufen. Also hat sich das Werk auch darauf spezialisiert, individuelle "Erotik-Möbel" zu produzieren. Wir können uns diese Möbel nur vorstellen. Vermutlich produziert das Werk eben solche Sitz- oder Liegegeräte, wie Kunden es sich wünschen. Als weitere Spezialität renovieren, reparieren und bauen die Menschen in dieser kleinen Fabrik Kutschen.

Die Mitarbeiter haben Betriebsferien zwischen Weihnachten und Neujahr. Nur der Chef schafft mit einer Sekretärin und einem Mann Ordnung im Laden. Im Aufenthaltsraum der Belegschaft ist das Waschbecker verstopft, welches ein hagerer, älterer Arbeiter gekonnt und geschwind wieder frei macht. Der Chef berät zwei Kunden, welche eine alte Landauer-Kutsche gebracht haben. Hinter dem Kutschbock schwingt die Fahrgastzelle in schweren Blattfedern. Auf der Tür dazu prangt die Jahreszahl: 1894. Zwei oder vier Pferde ziehen dies hochherrschaftliche Gefährt über Stock und Stein. Dieses Schmuckstück fachkundig zu renovieren, verursacht schnell Kosten eines Mittelklassewagens.

Auf dem Weihnachtsmarkt hat meine Frau einer begeisterten Kundin einen Schlitten mit Schiebelehne verkauft. Sie wollte noch einen weiteren und hinterließ dazu ihre Visitenkarte. Da Stephanie alle Schiebelehnen verkauft hatte, liefern wir nun ihr einen Schlitten mit Schiebelehnen frei Haus. Die Dame glänzte an der Weihnachtsmarkthütte mit herrschaftlichem Auftreten. Doch als wir das Anwesen in einer verlassenen Gegend in Franken endlich gefunden haben, treffen wir auf einen Schweinezüchter in einem ärmlichen Hof. Die Ausdünstungen der Tiere belästigen unsere Geruchsnerven. Zwischen Tür und Angel wickeln wir das kleine Geschäft ab, das unsere Spritkosten deckt.

Immerhin haben uns diese Fahrten wie Besorgungen soweit ermüdet, dass wir eine ruhige Nacht am Straßenrand in Bamberg verbringen dürfen. Gerade baut Bamberg den bislang bescheidenen Wohnmobilstellplatz am Heinrichsdamm soweit aus, dass dort die Schiffe der Landstraßen auch Strom tanken und die Kapitäne ihre Exkremente entsorgen können.

Zur Nachtruhe verhalf uns dazu noch der trübe Rauchbiergenuss im Gasthaus Schlenkerla, einem putzigen Fachwerkhaus aus dem Mittelalter. Ein weiteres begehrtes Szenelokal in Bamberg, der Pelikan, hatte schon keinen Platz mehr für uns. Wieso sich dieses Lokal zur frühen Abendzeit an einem Werktag so schnell füllt, bleibt uns ein Rätsel. Das Gasthaus Schlenkerla hingegen hat an seinen schweren Holztischen immerhin noch Platz für zwei, aber für viel mehr Menschen auch nicht. Dass Rentner und Touristen abends Muß und Moneten genug haben, sich im Wirtshaus zu vergnügen, ist klar. Wenn dann noch Arbeitnehmer in den Betriebsferien zwischen Weihnachten und Neujahr abends in den beliebten Wirtshäusern essen und trinken wollen, dann ist das Freizeitangebot schnell ausverkauft.

Wie seit Jahrhunderten darf sich der Pöbel unter den Symbolen kirchlicher und weltlicher Herrschaft, dem Kreuz und dem Jagdgeweih, von den Unbillen des Alltags und der Fronlast von Steuer- und Zinszahlung bei Bier, Schweinsbein, Sauerkraut und weiteren Köstlichkeiten erholen, entspannen.

Das Gasthaus Schenkerla, welches seinen Brauerei-Ausschank seit 1405 rühmen darf, ist ebenso wie das Bamberger Rathaus oder der Bamberger Reiter eine Sehenswürdigkeit im Range des Weltkulturerbe.

Von unserer Hochzeit am 30. Mai des Jahres haben wir noch ein Geschenk, welches wir nur in der Gegend einlösen können: Bad, Sauna, Menü und Massage in Bad Staffelstein. Das Recht auf den Genuß des Menüs ist zwar schon verfallen, doch mein Körper, Haut und Haare sehnen sich ohnehin wieder nach Sauna, Wasser, Seife und Shampoo. Noch nie haben wir den Parkplatz an der Therme in Bad Staffelstein so überfüllt vorgefunden. Wir müssen unser Gefährt auf Rasen parken, weil die asphaltierte, riesige Fläche mit Wagen aus sehr vielen Regionen des Landes vollgestellt ist. Entsprechend groß ist der Andrang an der Kasse. Am Einlaß werden wir in Schüben zu fünf Personen erst eingelassen, wenn eben die Anzahl Menschen das Bad verlassen und Schränke frei gemacht hat.

Die enge Stube der Sauna ist zum Aufguß mit 60 Personen prall gefüllt. Nur wer 10 Minuten vor der vollen Stunde sich einfindet, kann sich noch zwischen zwei andere Menschen quetschen - vielleicht. Im Bad ist das Becken mit der wärmsten Sole, die mit 12 Prozent Salzgehalt den bayrischen Rekord hält, gepackt voll. Dies erinnert an Bilder von Bädern in Japan. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - ist das Bad ein beruhigendes Abenteuer, welches auch an und aufregt.

Während der Pöbel, sofern er 18 Euro für die Tageskarte zur Sauna in Staffelstein aufbringen kann, sich Haut an Haut gedrängt aufbraten lässt, herrscht im Bamberger Rathaus medinaive Andacht. Wenige Besucher betrachten die Schätze aus edlem Porzellan, welches der Fabrikant Ludwig in seiner Sammlung Bamberg als Dauerleihgabe vermacht hat.

Vor Jahren haben wir, als wir 2003 unser erstes Wohnmobil im nächtlichen Stellverbot auf dem Thermenparkplatz parkten, Strafe zahlen müssen. Den benachbarten Campingplatz meiden wir, weil keine 20 Kilometer weiter das schmucke, fränkische Fachwerk-Nest Baunach einen Stellplatz bietet. Der Platz kostet nicht mehr als einen Euro. Doch für diesen Euro liefern Steckdosen 12 Stunden lang Saft.

Am Marktplatz in Baunach, auf dem zu spät abendlicher Stunde gerade ein Fahrzeug steht, treffen wir in unserer griechischen Stammkneipe zufällig den Ex-Schwager meiner Frau, der dort mit seiner Freundin den Abend feiert. Wir schließen uns an, tauschen Neuigkeiten über den Neffen meiner Frau aus, der als IT-Praktikant im indischen Bangalore bei Siemens bis März schafft.

Nachts, ab 3.30 Uhr hat genug Schlaf meine Lebensbatterie geladen. Es ist Zeit, die Eindrücke zu ordnen, die wild durch die Gedanken reisen. Bedachtsam, behutsam - unter Vermeidung aller Störgeräusche - schieben sich meine von der Sauna etwas erleicherten 90 Kilo aus dem Bett, unter dem wir unsere Siebensachen stauen. Wenn die Tür von der Naßzelle an den gegenüberliegenden Kühlschrank anlehnt, ist das Bett gegen einfallendes Licht vom Schreib- oder Küchentisch geschützt. Meine liebe Stephanie setzt also ungestört ihre Nachtruhe fort, derweil die nahe Kirchturmuhr mir alle Viertelstunde vernehmlich mitteilt, welche Stunde mir schlägt.

Das Beste dabei ist, dass der 4000 Watt Gasofen über vier Heizungsausströmer beim Tisch sehr schnell das Thermometer von 17 Grad auf wohlige 23 Grad ansteigen lässt. Der Schlafraum hingegen hinter der geöffneten Badtür bleibt kühl.

Noch perfekter wäre es gewesen, die frühe Stunde mit einem Glas Wein zu feiern. Doch wer am Morgen fährt, sollte nüchtern bleiben. Zudem stört der Lärm, eine Flasche zu entkorken, den nächtlichen Frieden meiner lieben Frau. Die Nacht ist auch nüchtern schön und still. Ein erster Zug fährt hupend in den nahen Bahnhof Baunach ein. Sonst lässt sich nur der gleichmäßige Atmen meiner Frau wie das eintönige Surren des Heizungslüfters vernehmen. Wir freuen uns über die Gute Nacht und auf einen schönen, neuen Urlaubstag in Franken.

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