18 November 2011

W'Markt-Stress

Der erste Sonntag, 20. November: Blick aus der Ferienwohnung über die Regnitz

Immer nur Stress. Stress. Stress. Stress. Der Magen mag das schon nicht mehr. Die Leute reden, reden, reden. Manche machen auch etwas. Man selbst meint, immer alles zu machen. Machen zu müssen. Rennen für's Geld.

Weihnachtsmarkt. Wieder mal Weihnachtsmarkt. Als ob das Wetter, der graue November mit Buß- und Bettag, Totensonntag nicht schon genug abfordert. Nein: die Industrie muß Weihnachten Umsätze feiern. Schneller, höher, weiter. Mehr. Wer auf dem W´Markt als winziger "Industrieller" mitspielen will oder muss, der braucht ein dickes Winterfell und ein gut gestärktes Nervenkostüm.

Mir wäre es lieber, im Sessel zu sitzen, zu lesen, fernsehen, feiern, futtern, fröhlich oder traurig - Hauptsache: Ruhig sein. Aber nein: Weihnachtsmarkt, kurz W'Markt. Ein fürchterliches Fest: Weihnachten. Das Fest von Stress, Streit, Spannung.

Dunkelheit, Kälte, Nässe, überfrierende Nässe, Unfälle, tatü tata, immer zu. LKW im Acker, Kräne, Krankenwagen, Blaulicht. Kalte Neonlampen von Sprühnebel verhüllt. Mädchen mit Stiefeln, dicken Strumpfhosen und weichen Mänteln versprechen ein wenig Wärme, bereit zu lächeln hoffen auf Freude. Mädchen scheinen immer noch guter Hoffnung zu sein, jemanden Neuen willkommen zu heißen auf der Erde mit sieben Milliarden Menschen. Scheint prinzipiell weibliches Prinzip zu sein.

Mehr männliches Meckern mit mürrischen Mienen, in Streß erstarrt. Verkäuferinnen mit zu Freundlichkeit gefrorenem Lächeln. Professionalität wie in Kaufhaus-Kliniken, bereit, den Kunden zu verarzten. Bedürfnisse, seltsame, eigenartige, einzigartige Bedürfnisse.

Die Waren in den Regalen locken so süß. Die Weihnachtsmarktfrau müht sich schon seit Januar darum, vorzeigbare Waren vorzubereiten. Kerzen aus Bienenwachs, Kerzen aus China, Kerzen in gekneteter Kunst, Duftöle - mittlerweile mit Ablaufdatum, Blechspielzeug. Jedes Jahr neue Schikanen. Dies Jahr muss jeder Weihnachtsmarkt-Verkäufer eine Prüfung über den Umgang mit Gas ablegen. Seit mehr als 20 Jahren lässt meine Weihnachtsmarkthütten-Frau, die vorn für den Kunden friert, den Rücken mit einem Gasofen wärmen. Dies Jahr erstmalig fordert die staatliche Aufsichtbehörde einen Gasofen-Berechtigungs-Bedienungsnachweis.

Jahre zuvor schon verlangt die Marktaufsicht jährliche eine neue Gasofenfunktions-Prüfbescheinigung. Jedes Jahr kostet es etwa 30 Euro die Gasofenfunktion zu prüfen und bescheinigen zu lassen. Ein neuer Ofen kostet etwa 60 Euro im Baumarkt.

Seitdem mich die Liebe mit meiner Weihnachtsmarkthütten-Unternehmerin verbindet, seit 15 Jahren, rückt mit dem unbarmherzigen Mahlwerk der Zeit jedes Jahr der November näher. November heißt W´Markt. Zum 1. Advent startet die Show.

Sie macht es gern und gut, Jahr für Jahr.

Dieses Jahr genießen wir sogar eine Ferienwohnung zusammen, welche drei Räume hat. Doch das Fernsehbild ist klein und schlecht. Die antiquierte Bildröhre misst in der Diagonalen gerade mal 30 Zentimeter. Der Kühlschrank stellt sich mit lautem Gebrumm an und schaltet sich schüttelnd nach einer Weile ab.

Man ist froh, im Haus zu sitzen. Man ist froh, im Warmen zu sein. Man ist froh für jede Pause. Meine Weihnachtsmarkt-Verkäuferin-Frau ist mit lächelndem Gesicht für die Aufgabe wie gemacht. Seit Jahren kommen Kunden, die sie kennt, Bekannte und Freunde grüßen, doch Zeit zum Plausch stört das Geschäft. Aktiv verkaufen, heißt, Menschen vor die Auslage locken, ansprechen, animieren, begeistern: "Bitte, danke. schön, Frohes Fest und viel Freude mit ihrem Geschenk." Alle Jahre wieder. Immer zur Weihnachtszeit.

In einer Welt aus kriselndem Kapital, manipulierenden Medien, Rohstoffknappheit, Überbevölkerung und kommenden Klimaverwerfungen möchte man abschalten, die Rente kommen lassen und lautloser leben als bislang. Doch der Weihnachtsmarkt verlangt vollen Einsatz. Schnellen Schlaf. Kurze Mahlzeiten. Lange Stunden stehen im Stand. Verkauf.

Die vergangenen Herbstsonnenstunden, so selten sie waren, die schwitzenden Ruhestunden in der Sauna liegen wie Erinnerungen ans Paradies schon zurück. Die graue Weihnachtsmarkt-Wand liegt vor uns: Aufbau, Eröffnung, 1. Advent, 2. Advent mit langem Verkaufsabend bis 22.00 Uhr, 3. Advent und endlich 4. Advent und dann Erlösung: Abbau, Aufräumen, Auffegen und endlich, endlich wieder Ruhe und Leben in betrachtender Muße.

Zeitung. Stundenlang lesen. Blättern in Büchern. Aus dem Fenster sehen, sich freuen am Spiel des Windes mit Zweigen und den letzten, verlorenen, dürren Blättern. Es muss einmal Ruhe kommen im Leben und zwar schon vor dem Tod.

Im Sessel sitzen, im Bett liegen, sich des eigenen Atems freuen, seinen Herzschlag hören, sich selbst spüren. Dazu braucht es Ruhe.

Gut ist, dass die Ruhe tiefer, treuer und trefflicher eintritt, wenn zuvor das Gerenne schier unerträglich geworden. Zwischen Polen von An- und Entspannung pendelt der Organismus.

Klagen die Wörtchen jetzt über Hektik, fühlt sich der Körper gleich glücklich im Bett. Das Leben gleicht Mühen mit tiefer Erholung und Entspannung aus. Also: Alles halb so schlimm, wenn es doppelt stressig anstrengt.

Hütte laden


Der erste Samstag ist Ruhe vor dem Sturm. Neu in der Ferienwohnung will sich kein geregelter Schlaf einfinden. Gedanken jagen im Kreis. Das Groß-Experiment mit sieben Milliarden Menschen bringt beunruhigende Bewegungen. In den Maghreb-Staaten verjagen die Jungen die westlich gesinnten und geschmierten Greise. Der Operettenpotentat in Libyen endet schmählicher als dereinst die US-Marionette der Schah von Persien. Die Bärtigen blasen ins nationalistische Horn. Körperstrafen kommen. Hand ab. Mordaufrufe. Fatwa. US Drohnen drohen dagegen. Eine junge Ägypterin zeigt ihren Körper bekleidet mit Lackschuhen und Strümpfen. Zu wenig für den religiös-nationalen Mob.

Der braune Sumpf hierzulande mordet seit mehr als zehn Jahren. Erst als die Mörder sich selbst ermorden, bricht die stinkend braune Pestblase auf. Politiker und Polizisten staunen Bauklötze. Die braun verhetzte Hass-Bande brüllt sich heiser. Den sich selbst mordenden Meuchelmörder beschert der Braune Mob klammheimliche Weihen als Märtyrer.

Provokateure der linken Szene agieren ähnlich verroht. Berlin und Hamburg sind Hochburgen brennender PKWs. Wie durch ein Wunder haben die Brandbuben bei ihren Schandtaten bislang keine Menschen geschädigt.

Die Widersprüche wie zum Beispiel bei den Gewinn- und Verlustorgien von Vorständen und den ausbeuterischen Zwängen bei zahllosen Zeitarbeitern sprengen jeden Zusammenhalt. Millionen-, ja Milliardenvermögen verschoben, verschludert. Strafverfolger schaffen es schlecht, den mafiös verfilzten Sumpf auszutrocknen. Andernseits vermeiden oder verweigern Hundertausende brot- und oft auch lustlos unangenehmen Arbeitseinsatz. In Folge stehen die Sicherungen der Sozialsysteme kurz vor der Schmelze. Dazu droht die Kernschmelze des Kapitals, Atomkerne im Meiler Fukushima sind schon geschmolzen. Noch hat uns und andere ein Kollaps der Gesundheitsindustrie bei irgendeiner Pandemie verschont, doch immer häufiger gefährden resistente Erreger den Erfolg jeder Therapie.

Unsere Arbeit: Wir müssen unseren VW-Bus mitsamt Anhänger beladen. Regale, Gasflaschen, Gasofen, Werkzeug, Leuchtmittel. In den 30 Jahre alten Anhänger müssen wir die Weihnachtsmarkthütte in Teilen laden. Sechs große und vier kleine Seitenteile fügen wir dann auf dem Marktplatz zum Grundgerüst der Hütte zusammen. Vier Teile bilden den Holzboden. Sieben Dachsparren schrauben wir auf die notwendige Länge zusammen. Darüber ziehen wir eine starke Plastikplane. Ein Kunstwerk an Regalen nimmt ein buntes Tausenderlei von wunderbaren Waren auf. In diesem Arbeitsplatz von vier mal zweieinhalb Metern stehen wir bis Weihnachten etwa 300 Stunden.

Montag morgen geht die erste Fuhre auf den Marktplatz. Eine weitere Fuhre muss dann weitere die Krippe mit Schlitten und Vögelhäusern anliefern. Die dritte Fuhre muss auch noch Montag abend vor der Hütte stehen. Darin sind dann etwa 30 Bananenkartons mit all den Schätzen des Geschäfts.

Zumindest hat uns das Wetter heute zum Packen der ersten Fuhre Sonne geschenkt. Das erleichtert die Arbeit ungemein. Aber meine Frau ist nervlich so angespannt, dass sie sich mit Kopfweh ins Bett flüchten muss. Die Anspannung und Anstrengung ist ihr - wie schon das Jahr zuvor - einfach zuviel. Nach etwa 18 Stunden Bettruhe ist sie wieder fit.


Hüttenaufbau



Sonntagsspaziergang: Mima knutscht ihr Enkelkind, das liebe "Mops-Gesicht".


Montag morgen 4.30 Uhr: Zwei Wecker alarmieren uns zum Einsatz. Wir müssen den VW-Bus mit gepacktem Anhänger zum Marktplatz bewegen. Wir müssen die Hütte aufbauen. Mein Marktweiblein ist gut erholt und erledigt ihr Pensum mit ruhiger Professionalität und gut eingespielten Hilfen.

Nachdem die Sonne durch den Nebel bricht, geht die Arbeit bei frühlingshaften Temperaturen gut voran. Am Nachmittag steht die Holzhütte, welche acht Wandteile um drei Bodenplatten bilden. Die Dachsparren halten die Zeltplane, deren Ösen in den Holzwänden einhaken. Nachdem die Steckdosen und Leuchtmittel in reichlicher Zahl angeschlossen sind, steht das Grundgerüst. Eine weitere Anhängerfuhre bringt die Krippe, welche sich mit etwa zwei Metern an die vier Meter breite Holzhütte anschließt.




Die nächste Anhängerfuhre holt die Holzkrippe.

Neben dem einmaligen Blickfang und Wiedererkennungsmerkal dient der Platz dazu, Schlitten und Vogelhäuschen auszustellen und zu verkaufen. Auch bastelt sie jedes Jahr Steckenpferde, die dort mit runden Knopfaugen aus Stoff über einem ausgepolsterten Kopf, einem dicken Wollstrumpf, mit angenähten Ohren und hängender Mähne auf Kunden warten.




Wenn Mima Steckenpferde bastelt, träumt sie wohl von Reitpferden.



Der Rohbau steht: Bei sonnigem Wetter geht die Arbeit mit einem guten Team schnell voran.

Wir können schon am Nachmittag diese Arbeit abschließen, den Anhänger in die zweite Garage zurückschieben, den VW-Bus mit etwa 30 Bananenkartons der Erstausrüstung beladen.




Das Kunstwerk muss Donnerstag fertig sein - hier von 2009.